Transportation 2030: Das Rennen um die digitalen Services ist eröffnet
Kommt ein Standard von den OEMs oder eher das UBER für die Transportbranche?
Neuer Lieferplan vom Kunden, jeder Einkäufer kennt das: Er braucht die Sitze früher und auch noch ein Drittel mehr als bestellt. Mein klassischer Logistiker schafft es nicht, die Sitze just in sequence ans Band zu liefern und meine eigenen LKWs sind alle auf der Straße. Ich zücke also mein Handy und rufe das „UBER für Trucks“auf, um einen Slot für die Fahrt meiner Waren zum Fließband zu buchen. Auf der Plattform haben zahlreiche kleine Logistikanbieter ihre Kapazitäten eingestellt, inklusive der leeren Ecken auf der Rückfahrt. Neulich tauchte ein Anbieter zwar zu spät auf, aber in der Regel funktioniert die App und die Kosteneinsparungen rechtfertigen die Nutzung. Ich nehme nur die Basis-Option zur Versicherung, nicht die Premiumvariante, lege aber Wert auf den CO2-neutralen Anbieter - kostet etwas mehr, aber die Kunden sehen es gern.
Das ist nur ein Beispiel für ein fiktives Zukunftsszenario, aber so oder ähnlich könnte 2030 der Alltag eines Einkäufers sehr wohl aussehen. UBER wird die App im B2B-Bereich wahrscheinlich nicht heißen – auch wenn das Unternehmen den privaten Transportmarkt erfolgreich revolutioniert hat. Aber es ist eine der spannendsten Fragen der IAA Transportation: Wer übernimmt die Services der Mitte? Wird es eine Plattform für zentrale Dienste im Transportwesen geben? Und welche Zusatzservices werden neue Player wie FinTechs rund um dieses Angebot herum stricken und nicht zuletzt: Wer geht bei diesem Prozess in die Führung und wer setzt sich letztlich durch?
Transformation der Trucks auf Vollgas – wer kann das bezahlen?
Auch zahlreiche Hersteller beschäftigen sich bereits mit digitalen Services. Ein Industriestandard, der eine herstellerunabhängige Nutzung optimieren würde, ist aber noch nicht in Sicht. Dabei ist die Transformation von Nutzfahrzeuge bereits in vollem Gang: Bis 2030 wird jede sechste LKW-Fahrt ohne Verbrennungsmotoren auskommen. Steigende Kosten für fossile Energiequellen unterstützen dabei die gesellschaftlichen Anstrengungen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes und die damit verbundene Umstellung auf elektrische Antriebe zusätzlich. Viele dieser Fahrzeuge werden dann bereits in der Lage sein, weitgehend oder komplett autonom zu fahren – für Logistikunternehmen eine Schlüsseltechnologie, um dem immer größeren Fahrermangel in der Branche entgegenzuwirken. Connected Services und die Vernetzung zwischen Fahrzeugen gewinnen immer mehr an Bedeutung und werden Ende des Jahrzehnts überall genutzt werden.
Dabei spielen neue, datenbasierte Geschäftsmodelle eine immer größere Rolle. Geld wird man in Zukunft nicht mehr nur mit dem Transport von Waren verdienen können, sondern auch mit den vielen dabei gesammelten Daten bzw. darauf basierenden Services: Finanzierungsangebote, Diagnose und Wartung, Komfortservices und die Anreicherung von Daten sind nur einige Beispiele.
Ob durch Marktdruck oder staatliche Anreize: Ohne moderne Fahrzeuge wird eine Flotte in Zukunft meiner Meinung nach nicht mehr konkurrenzfähig sein. Doch diese komplexe Transformation erfordert hohe Investitionen – für die Hersteller, für die Gesellschaft beim Aufbau der Infrastruktur und am Ende natürlich für die Kunden in der Transportbranche.
Um auch nach dieser Transformation eine führende Rolle im Markt einzunehmen, müssen Truck-OEMs sich möglichst in allen Bereichen optimieren: in der Entwicklung neuer Antriebe und Fahrzeuge, der Produktion und bei neuen datenbasierten Geschäftsmodellen ebenso wie bei der Gewinnung von umworbenen Talenten. Doch worauf sollten sie sich fokussieren? Welche Rolle werden sie im Ökosystem der Zukunft einnehmen? Gegen welche Konkurrenten müssen sie sich durchsetzen? Während fast alle OEMs den Schwerpunkt auf die Entwicklung alternativer Antriebssysteme legen, besteht bei den anderen Themen weitaus weniger Einigkeit. Fest steht nur: Das Rennen um die Zukunft der Branche gewinnt kein Hersteller mehr allein.
Services als Geschäftsmodell des neuen Jahrhunderts – auch für OEMs
Über ein Jahrhundert hinweg war der Markt für Nutzfahrzeuge klar strukturiert: Es gab die Hersteller der „Hardware“, die bei Bedarf auch die Wartung und Reparatur übernahmen und es gab deren Kunden, die mit diesen Investitionsgütern Personen oder Waren transportierten. Mit dem Einsatz vernetzter Fahrzeuge entsteht zwischen den diesen Bereichen ein großer Markt für datenbasierte Services. Das können Finanzierungs- oder Nutzungsmodelle für die Fahrzeuge, Komfort-, Sicherheits- oder Paymentservices sein, Versicherungen, Routenoptimierungen, Predictive Maintenance, Kommunikationsservices und vieles mehr.
Diese Services bilden einen wesentlichen Teil des Funktionsumfangs eines Fahrzeugs und können, ähnlich wie Apps, auf einem Smartphone theoretisch von jedem angeboten werden, der im Besitz der benötigten Daten ist: Von OEMs für deren eigene Fahrzeuge, von Logistikunternehmen für deren Flotte oder auch von externen Serviceprovidern.
Viele OEMs bieten bereits einzelne solcher Services an und haben sogar eigene Marken dafür geschaffen. Gleichzeitig ist die Akzeptanz von markenspezifischen Lösungen bei den größeren Kunden, die meist Flotten mit Fahrzeugen mehrerer Hersteller betreiben, eher gering. Für herstellerübergreifende Lösungen wären jedoch standardisierte Schnittstellenformate für die Bereitstellung der Daten aus den Fahrzeugen notwendig.
Der Markt für diese fahrzeugbezogenen Services wächst massiv. Die Frage, ob man in Zukunft in der Lage sein wird, solche Services selbst oder gemeinsam mit Partnern anzubieten und über spezielle Plattformen zur Verfügung zu stellen, wird ein wesentlicher Erfolgsfaktor für einen OEM im Logistik-Ökosystem der Zukunft sein.
Entwicklung einer vernetzten Lösung für die Bewältigung globaler Herausforderungen
Der langfristige Wandel – die Nutzung von Daten und vernetzten Technologien, um den Kunden zu helfen, Routen, Kosten und Emissionen effizienter zu verwalten – kann nicht von den unmittelbaren Herausforderungen wie der Elektrifizierung und der Kostenoptimierung losgelöst werden. Die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Aspekte der Veränderung, deren Abhängigkeiten untereinander sowie die Verknüpfung verschiedener Branchen von Hersteller und Logistik über Energie bis hin zur Infrastruktur machen die digitale Transformation für Nutzfahrzeughersteller und deren Kunden zu einer der komplexesten Herausforderungen in der Geschichte.
Damit dieser Wandel gelingt, müssen die OEMs neue Partnerschaften eingehen, die ihnen helfen, diese großen Ziele in die Tat umzusetzen. Kein Hersteller kann diese Veränderungen allein bewältigen. Dazu fehlt auch den Branchenführern das Investitionskapital. Ganz gleich, ob sie mit den Logistikriesen konkurrieren oder ihnen transformative Dienstleistungen anbieten wollen: OEMs müssen das Fachwissen und die Erfahrung zuverlässiger, globaler Partner nutzen, um die Herausforderung zu meistern. Das haben sie auch erkannt: Bereits heute gibt es in der Branche eine bislang ungekannte Zahl von Kooperationen und Joint Ventures zwischen OEMs, Zulieferern, Technologieunternehmen und Startups.
Natürlich werden diese Beziehungen allein nicht ausreichen. Die OEMs müssen auch selbst die notwendigen Investitionen tätigen und die richtigen Transformationsstrategien entwickeln, um ihre Ziele zu erreichen. Es müssen die Talente und die Infrastruktur vorhanden sein, um Fahrzeuge mit Kunden-, Logistik- und Umweltdaten zu verbinden und die jahrzehntelange Betriebs- und Prozessoptimierung auszubauen.
Wohin geht die Fahrt: Transport-as-a-Service (TaaS) als Lösungsansatz
Die Truck-OEMs haben sich über die vergangenen Jahrzehnte in eine hervorragende Position gebracht, die es zu verteidigen gilt, denn sie sind sich der neuen Herausforderungen sehr bewusst. Dennoch könnte sie ein Perspektivwechsel – vor allem mit Blick auf ihre Unternehmensstrategie – unterstützen, die Herausforderungen in Vorteile umzuwandeln und ihre Transformation zu beschleunigen.
Die Zukunft der Nutzfahrzeugbranche muss meiner Ansicht nach darauf abzielen, Kosten und Emissionen zu senken, gemeinsame Standards, Plattformen und Netzwerke aufzubauen, um kollektive Größenvorteile zu erzielen und Erkenntnisse zu nutzen. Dabei kann besonders TaaS wegweisend sein.
TaaS könnte meiner Meinung nach ein Lösungsansatz für die aktuellen Herausforderungen sein.
Innovation und eingebettete Technologien können die Einblicke und Verbindungen liefern, die die Lieferkette benötigt, um schnell auf externe Kräfte, Marktdynamik und Kundenbedürfnisse zu reagieren. Sie schaffen eine solide Einnahmequelle für OEMs im Zuge der Umstellung von Absatz auf Serviceleistungen, sichern Einkommensquellen und sind eine solide Grundlage für weitere Innovationen und Entwicklungen in der Zukunft.
Aktuell bleibt es spannend abzuwarten, ob es den Truck-OEMs gelingt, die neuen Technologien zu nutzen, um ihr Geschäftsmodell zu verändern und neue Umsatzmöglichkeiten wie datenbasierte Services oder TaaS zu erschließen oder ob die neuen Bereiche im Markt von anderen Playern besetzt werden.
Autor: Markus Scherbaum, Capgemini
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