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Das (Lasten)Rad wird neu erfunden
Bild: Die Gewinner des Lastenrad-Awards „International Cargobike of the Year 2021“ mit ihren Auszeichnungen. Tanja Schiefele
Bild: Die Gewinner des Lastenrad-Awards „International Cargobike of the Year 2021“ mit ihren Auszeichnungen. Tanja Schiefele
Der zum zweiten Mal vom HUSS-VERLAG ausgetragene Wettbewerb „Cargobike of the Year“ ermittelte in einem intensiven Test die Lastenräder von Vowag, Chike e-Cargo sowie den Trailer Carla Cargo als besonders logistiktauglich. Es zeigte sich generell: Die Technik entwickelt sich rasant.
Nach einem intensiven Testprozedere einer international besetzten Jury aus Cargobike-Experten wurden im Rahmen der 2. Nationalen Radlogistik-Konferenz des Radlogistik Verbandes Deutschland (RLVD) in Frankfurt am Main im vergangenen Herbst die Awards zum „International Cargobike of the Year 2021“ verliehen. Die in drei Klassen kategorisierten Awards tragen dem Trend zur Lastenradlogistik und Nutzung auch im gewerblichen Bereich Rechnung. Initiator und Träger ist die Fachzeitschrift LOGISTRA aus dem HUSS-VERLAG. Der Test fand auf dem Gelände der Frankfurt University of Applied statt.
„Wir sehen im Vergleich zu vor zwei Jahren einen Innovationsschub und Professionalisierungstrend in der Branche und hatten eine Flut von Anmeldungen für den Award“, erklärte Jury-Chairman Johannes Reichel bei der Preisverleihung. Er betonte weiter, dass die Lastenräder in puncto Robustheit, Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit auf einem guten Weg seien, für Logistiker rentabel zu werden – trotz noch immer hoher Anschaffungskosten. Immer mehr Anbieter fokussierten sich zudem auf B2C oder B2B, der Trend gehe zur Branchenspezifizierung.
„Ein Cargobike für alles, wie wir es vom Universaltransportmittel Automobil gewohnt sind, das gibt es schlicht nicht. Allerdings sehr wohl Konzepte, die speziell in Innenstädten motorisierten Fahrzeugen in Sachen Geschwindigkeit, Pünktlichkeit, Platzbedarf und Umweltfreundlichkeit deutlich überlegen sind“, ergänzte Test + Technik-Ressortleiter Reichel. Auch müsse die entsprechende Einbettung in dezentrale Mikrodepot-Konzepte und dezentral konzipierte Citylogistik kombiniert werden, ohne die Cargobikes wenig Sinn ergeben. Die Gewinnerfahrzeuge zeichneten sich durch hohe Innovationsleistung und eine breite Anwendungsspanne aus.
Trailer: Leichter Einstieg
In der Kategorie „Cargo Bike Trailer“ setzte sich knapp die Carla Cargo des weiter verbesserten Modelljahres 2021, wahlweise mit cleverem Max Messenger Light KEP-Aufbau, vor dem Hinterher-Transporter des gleichnamigen Münchner Herstellers durch. Dieser fuhr neben der schlichten und praktischen Plattformversion auch eine Zarges-Box-Lösung auf, die ideal für KEP-Belieferung ist. Die Jury betonte, dass die beiden Trailer jeder für sich enorm viel Frachtpotenzial mit wenig Aufwand und zu relativ günstigem Preis böten, nur eben in verschiedenen Nutzlastklassen. Grundsätzlich liege in der Kombination von einspurigen, schlanken Bikes und ebenso schmalen Trailern ein weites Feld an Möglichkeiten.
Light: Überall durch
Bei den leichten Cargobikes, die für schlanke Durchfahrtbreiten konzipiert sind, fuhr der deutsche Hersteller Hartje mit seinem Modell Chike e-Cargo ganz nach vorn, das mit einem universellen Neigetechnik-Konzept punktet und agiles Handling mit guter Nutzlast, kompaktem Design und einfacher Wartung vereint. Dahinter rollten der Rytle TriLiner mit robuster Machart und professionellem Package inklusive kräftigem Heinzmann-Frontmotor zu fairem Preis über die Ziellinie, gefolgt vom schlanken, superagilen und sogar faltbaren „Tern HSD“, das für Food-Lieferdienste prädestiniert ist.
Heavy: Wie ein kleiner Van
In der „Königsklasse“ der schweren Cargobikes setzte sich das nach industriellen und automobilen Standards konzipierte Vowag CARGO M durch, das auf einem vierrädrigen Stahlprofilplattform-Konzept mit robusten Komponenten und Fahrwerk unzählige Optionen und Frachtmöglichkeiten eröffnet und zudem ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Darüber hinaus einen enorm starken E-Antrieb hat, der auf eine Kette verzichtet, mit Generator und E-Motor arbeitet.
Knapp dahinter rollt mit dem Tricargo Lademeister ein klassisches Trike über die Ziellinie, das viele Fehler der ersten Generation Lastenräder tilgt und auf robuste Motorradkomponenten, ein fein stufendes Pinion-Cargo-Getriebe sowie einen festen und palettentauglichen Aufbau setzt – zu vertretbarem Preis. Dahinter schob sich noch in Vorserie das ähnlich dem Vowag industriell konzipierte A-N.T. Cargo:4 auf den dritten Platz. Das bietet ebenfalls eine enorm robuste Konstruktion mit sicherer Straßenlage, langlebigen Komponenten, starken Bremsen und vor allem hoher Nutzlast wie Volumen in der eigenentwickelten Cargo-Box. Als inoffiziellen „Ehrenpreis“ honorierte die Jury die Innovationsleistung der österreichischen Marke Gleam. Deren Modell Escape wandelt zwischen den Welten Light und Heavy, setzt mit dem Neigetechnikfahrwerk Maßstäbe in Sachen Agilität und Handling und addiert gute Nutzlast, Wechselaufbau und fairen Preis.
Jury aus Praktikern
Der Fachjury gehörten neben dem LOGISTRA-Ressortleiter Test + Technik Johannes Reichel ausgewiesene Fachleute und Praktiker der Cargobike-Branche an: Thomas H. L. Schmitz, Geschäftsführer und Gründer des Radlogistikspezialisten Radlader GmbH in Mainz, Satish Kumar Beella, Lector Engineering & Product Development in The Hague University of Applied Sciences, sowie der Berliner Radlogistiker Martin Schmidt von der Cyclelogistics GmbH sowie dem Lastenradservice Blue Cargo GmbH. Eine Neuauflage ist für den Herbst 2022 geplant.
Konferenz: Radlogistik hat keine politischen Feinde
Im House of Logistics & Mobility (HOLM) in Frankfurt diskutierte die 2. Nationale Radlogistik-Konferenz unter der Ägide des Radlogistik Verbandes Deutschland (RLVD) im vergangenen Herbst mit über 150 Teilnehmer:innen aus Logistik und Cargobike-Industrie, wie sich die Lastenradlogistik weiter voranbringen lässt. Der RLVD stehe bereit, wenn es darum gehe, Radlogistik auszubauen, heißt es. Guido Zielke, weiterhin Abteilungsleiter Straßenverkehr auch im neuen BMDV, forderte konkrete Vorschläge von der Branche, für die man sehr offen sei. „Die Radlogistik hat keine politischen Feinde, die Umsetzung darf sich aber nicht im Gestrüpp regulatorischer Hürden verlieren“, erklärte Zielke. Der hessische Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen Tarek Al-Wazir verwies in Frankfurt darauf, dass man offensiver darstellen müsse, was in der Radlogistik schon möglich sei.
Prof. Kai-Oliver Schocke von der Frankfurt University of Applied Sciences meinte, in der KEP-Branche habe man kein Problem, Citybelieferung von Verbrennern auf emissionsfreie Antriebe und Cargobikes umzustellen. Es gebe bereits zahlreiche skalierbare Projekte. Er forderte für reibungslosere Abläufe die Einrichtung von Ladezonen und mehr Kooperation auf der letzten Meile. Im Sinne des Klimaschutzes gebe es keine Alternative zu einem neuen regulatorischen Rahmen, der dieselbetriebene Lieferwagen verbanne. Allerdings ließen sich auch nicht alle Transporte per Rad abwickeln, etwa im Baustellenverkehr. Es müsse einen Mix aus Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs geben, was wiederum Platz für nachhaltige Logistik schaffe. Denn Logistik sei eine Dienstleistung, von der die gesamte Gesellschaft profitiere und die in Richtung Klimaneutralität weiterentwickelt werden müsse.
Cargo-Tram-Projekt: Kombiverkehr mit Bahn und Bike
Ebenfalls im Rahmen der 2. Nationalen Radlogistik-Konferenz in Frankfurt am Main haben die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbH (VGF) und die Berliner Onomotion GmbH dargestellt, wie Containerisierung und Straßenbahnen für eine emissionsfreie Citylogistik funktionieren könnten. Gemeinsam mit der VGF realisierte der Berliner Mobilitätsdienstleister eine Lieferkette in standardisierten Containern mit Gütertram und mit dem E-Lastenrad ONO PAT. Das Zusammenspiel mehrerer Verkehrsträger wie Straßenbahn und E- Cargobike auf der mittleren und letzten Meile habe großes Potenzial, zum neuen Standard urbaner Logistik zu werden, so die Berliner.