IAA Voices Conference Special: Dr. Albert Waas

Dr. Albert Waas ist Managing Director & Partner bei der Boston Consulting Group und leitet dort den Automobil- und Mobilitätssektor in Zentraleuropa.

Herr Dr. Waas, wie sieht der Warentransport im Jahr 2030 idealerweise aus?

Zum einen sehen wir eine starke Zunahme des Transportvolumens. Damit geht auch die Diskussion um den Modalsplit einher – und die Frage: Wie schaffen wir es, noch mehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern? Gleichzeitig sehen wir aber auch Grenzen, was den Ausbau der Schieneninfrastruktur anbelangt. Der Lkw-Verkehr wird daher auch in Zukunft eine sehr zentrale Rolle einnehmen. Insofern braucht man neue Lösungen, um den Warenverkehr auf der Straße nachhaltiger zu gestalten.

Und wie sieht der Personenverkehr im Jahr 2030 idealerweise aus?

Das hängt mitunter sehr stark von der jeweiligen Region bzw. Metropole ab. Die Zukunft im Personentransport wird auf jeden Fall automatisiert und elektrisch sein; zu einem sehr großen Anteil auch shared. In der Realität wird das bedeuten, dass sich der Personenverkehr vom ÖPNV zunehmend auf die Straße verlagert. Wir haben das für die Stadt Boston einmal sehr detailliert simuliert. In der Summe nimmt die Mobilität zu,  aber der Verkehr verlagert sich in Richtung autonomer Flotten in den Städten. In den Megacitys dieser Welt kann das 2030 schon so weit sein. In der typisch deutschen mittelgroßen Stadt wird das 2030 aber noch nicht der Fall sein.

Könnte autonomes Fahren auch eine Lösung sein, um den sogenannten ländlichen Raum stärker zu integrieren?

Es wird den ländlichen Raum noch einmal attraktiver machen, wenn die Wegstrecken – zumindest zu einem gewissen Anteil – autonom befahrbar sind. Vom Konzept Tür-zu-Tür sind wir aber noch weit entfernt. Automatisiertes Fahren wird erst einmal nur innerhalb bestimmter Gebiete möglich sein, zum Beispiel auf Autobahnen. Doch allein das wird den Verkehr bereits entlasten und auch die Anbindung von ländlichen Gebieten attraktiver gestalten.

Dr. Albert Waas. ©BCG

Sie haben einmal gesagt: Es gibt zwei große „L“s, die Herausforderungen darstellen: Lieferketten und Laden. Mit Blick auf einen schnelleren Umstieg auf E-Mobilität: Wenn Sie eines von heute auf morgen lösen könnten, welches wäre das?

Das ist eine herausfordernde Frage (lacht). Beides hängt nämlich sehr stark zusammen. Aktuell ist das Thema Lieferkette der Faktor, der viel mehr einschränkt, weil es zum Beispiel nicht genug Chips gibt, um alle nachgefragten Fahrzeuge zu bauen. Unabhängig von der Ladeinfrastruktur ist die Nachfrage schlichtweg deutlich höher als das Angebot. Das heißt, kurzfristig müssen wir das Thema Lieferkette lösen.

Mittel- bis langfristig wird das Thema Lieferkette gelöst sein. Davon bin ich fest überzeugt. Der Hochlauf der Elektrofahrzeuge geht jetzt deutlich schneller voran, als die Industrie das in den vergangenen Jahren erwartet hätte. Wir erwarten für neu verkaufte PKW in Europa einen Anteil von 60% im Jahr 2030. Die Ladeinfrastruktur zieht nicht schnell genug nach – unter anderem auch aufgrund langwieriger Genehmigungsverfahren. Das wirkt sich natürlich auch hinderlich auf die Nachfrage aus. Wenn wir größere Veränderungen herbeiführen wollen, müssen wir den Hochlauf der Ladeinfrastruktur beschleunigen.

Das ist ja die klassische Henne- und Ei-Frage: Was muss zuerst da sein – die Elektrofahrzeuge oder die Ladeinfrastruktur. Was würden Sie sagen?

Im Idealfall verläuft der Hochlauf natürlich parallel. In der Realität müssen Ladeinfrastruktur-Anbieter zunächst einmal investieren, weil in der ersten Zeit die Masse an Elektrofahrzeugen fehlt um die notwendigen Renditen zu erwirtschaften. Das kommt erst mit dem Hochlauf der E-Fahrzeuge. Daher hat man mit den E-Fahrzeugen begonnen und die Infrastruktur hat nachgezogen. Dort brauchen wir somit jetzt eine Beschleunigung.

Es kommt noch ein drittes L dazu: Lithium. Langfristig wird recycelt werden – doch das wird erst ein Thema in zehn Jahren sein. Allein die Förderung von Lithium produziert Kohlenstoffdioxid. Wie schaffen wir es, diese Mengen sozial und ökologisch verträglich zu beschaffen?

Wichtig ist zunächst einmal: Es gibt genügend Lithium für unseren Bedarf. Allerdings sehen wir eine Verknappung in der Förderkapazität. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, genügend Lithium in der knappen Zeit zu fördern? Es sind ganz eindeutig zusätzliche Investitionen notwendig, um die Kapazitäten bereitzustellen. Die nächste Frage ist: Schaffen wir es auch, das nachhaltig zu tun? Hier muss auch die Bergbauindustrie die Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit unterstützen und vorantreiben. Das kann die Automobilindustrie nicht alleine lösen.

Dennoch ist sie auch in der Pflicht, noch mehr in die Lieferketten hineinzuleuchten, Anforderungen zu setzen, zu kontrollieren und gegebenenfalls Lieferanten zu wechseln. Einzelne OEMs sichern sich bereits Lithiumvorkommen. Es war bis dato eher unüblich, mehrere Schritte in der Lieferkette zu überspringen und direkt auf Rohstofflieferanten zuzugehen. Auf diese Weise lässt sich viel direkter Einfluss nehmen.

Können wir in Zukunft sogar in Deutschland oder Europa Lithium abbauen?

Im Vergleich zu anderen Regionen der Welt haben wir sehr wenig Lithium-Vorkommen. Es gibt aber durchaus Bestrebungen, beispielsweise aus dem Oberrheingraben Lithium zu gewinnen. Und mit steigenden Preisen wird auch der Lithiumabbau in Europa attraktiver. Gleichzeitig werden wir in Europa mit Sicherheit nicht einer der größten Lithium-Lieferanten werden. Da würde ich deutlich stärker auf Recycling setzen.

Elektrifizierung wurde im Schwerlastverkehr lange eher skeptisch betrachtet, weil allein die Batterie schon so schwer ist, dass die Fahrzeuge Probleme mit der Reichweite bekommen. Jetzt wird auch der Schwerlastverkehr zunehmend elektrifiziert. Wie erklären Sie sich das und an welchen Stellen sind Wasserstoff oder E-Fuels vielleicht doch die bessere Technologie?

Wir sehen in der Batterietechnologie und bei elektrifizierten Antrieben relativ große Technologiesprünge und auch eine Kostendegression, sodass die Elektrifizierung auch im Schwerlastverkehr interessant wird. Wir gehen etwa davon aus, dass im Jahr 2030 in Europa gut 30 Prozent aller neu verkauften Lkw batterieelektrisch sein werden. Aber auch das Thema Brennstoffzelle wird sich bei Trucks weiter durchsetzen. Nur gibt es da noch eine größere Infrastruktur-Herausforderung.

OEMs legen unterschiedliche Schwerpunkte in der Festlegung der Technologie. Also wird es am Ende alle drei geben: elektrifizierte Lkw, Brennstoffzellen-Lkw, aber auch den klassischen Verbrennungsmotor – und das alles in nennenswerten Größenordnungen.

Auch das Thema E-Fuels ist sehr interessant. Besonders wichtig werden E-Fuels allerdings in Industrien, die noch deutlich schwieriger zu dekarbonisieren sind: insbesondere in der Luft- oder Schifffahrtindustrie. Hier besteht der größte Bedarf an E-Fuels oder etwa Ammoniak. Aber auch im Sinne von einer Beimischung – so wie wir das von E10 kennen – werden E-Fuels Teil der Lösung für den Straßenverkehr sein.

Gleichzeitig müssten ja auch die Infrastrukturen hochgezogen werden – und alle mit Ökostrom versorgt werden. Sind wir da auf dem richtigen Weg?

Aktuell geht es natürlich in eine andere Richtung – wenn wir mehr Gaskraftwerke oder mehr Kohlekraftwerke wieder an den Strom nehmen. Lässt man die momentane Energiesituation im Rahmen des Kriegs in der Ukraine außen vor, so sehen wir, dass die Dekarbonisierung in der Stromerzeugung voranschreitet. Jahr für Jahr haben wir einen geringeren CO2-Anteil in unserem Strommix. Aber er ist natürlich noch nicht CO2-neutral und wird es auch 2030 noch nicht sein.

Hier gilt genau das gleiche wie in der Diskussion um Lieferketten: Das Ganze ist ein Zusammenspiel vieler verschiedener Akteure. Die Energieindustrie wird auch einen Beitrag leisten und parallel zur Automobilindustrie die Dekarbonisierung vorantreiben. Damit hängen aber auch noch viele weitere Fragen zusammen: Sind die Konsumenten am Ende bereit, einen Aufpreis für grünen Strom zu zahlen? Gibt es Lösungen zur Speicherung? All das wird eine Industrie nicht alleine lösen. Der CO2-Ausstoß eines E-Fahrzeugs ist deutlich geringer, aber eben nicht bei null – nicht heute und im Durchschnitt auch nicht 2030.

Was erhoffen Sie sich von der IAA TRANSPORTATION?

Ich freue mich auf ein physisches Zusammentreffen der Industrie, nach einer langen Corona-Zeit. Wir befinden uns mit Sicherheit in der größten Transformation, die die Industrie bislang erlebt hat. Die IAA bietet eine der spannendsten Bühnen für die Themen der Branche. Ich freue mich drauf, das Zusammenwirken an mehreren Schnittstellen – Infrastruktur, Fahrzeugindustrie, Flotten- und Mobilitätsanbieter, Digitalisierung, IT – zu diskutieren.

Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Waas!